Interview by Bjoern Gottstein / 28.2.2013

geraeuschen.de / Interview Boris Hegenbart for WDR

Das Gepräch fand am 28. Februar 2013 im Literaturhaus Berlin statt.

Interview & Abschrift: Björn Gottstein

Wie bist du zur Musik gekommen? Hast du ein Instrument gelernt? Wann ist die elektronische Musik in dein Leben getreten?

Also ich bin aufgewachsen mit Tonbandmaschinen und den ersten Synthesizern über meine Familie. Und das war eigentlich so mein tägliches Spielzeug. Und ich hatte dann auch das Glück, dass ich zu verschiedenen Ausstellungen und Performances mitgenommen wurde, “für Augen und Ohren” in der Akademie der Künste, und das waren auf jeden Fall alles sehr wichtige Einflüsse schon und Inspirationen und das hat sich dann später nieder geschlagen.

Wie alt warst du da?

Also von Anfang an. Mein Großvater hat bei Telefunken gearbeitet und da wurden dann die ersten Telefunken-Maschinen mitgebracht, und es waren immer Maschinen um mich herum. Dieses Werkzeug.

Und diese Konzerte, da warst du schon ein Teenager?

Ja, so ganz früh. Ich weiß gar nicht, wann das so angefangen hat. Bethanien auch schon. Und das war ganz früh schon mein Thema.

Das kam also als ganz natürlich für dich. Du hast gar nicht gegen deine Eltern rebelliert.

Ja, ich habe viel Input bekommen und irgendwann so als Teenager habe ich mir meine eigene Musik gesucht, die dann ganz intensiv gehört und gesammelt. Das war Dub-Musik. Und irgendwann später habe ich mich dann besonnen auf andere Einflüsse und habe das dann verwoben und zu meiner eigenen Sache gemacht.

Ist vom Dub noch etwas übrig geblieben?

Jetzt gerade wieder, aber ich erlebe immer wieder, dass das meine Definition von Dub ist und so richtig eingefleischte Dubfans, die erkennen das vielleicht gar nicht wieder.

Dub eröffnet viele Perspektiven – das Lebensgefühl, die verspielte Technik, dann die Bedeutungsräume zwischen Geisterhaftem und Bekifftem.

Faszinierend fand ich das sehr Direkte. Auch die Kultur, die dahinter steht. Eine sehr arme Kultur, die dann aber so kraftvolle Musik macht. Diesen Gegensatz mochte ich. Dann war das für mich auch ein Schock, als irgendwann die CDs kamen und das passte für mich absolut nicht zusammen. Das war dieses Handgemachte, diese recycleten Vinylscheiben und die Covers, die so unprofessionell wie nur möglich gemacht waren, das mochte ich daran. Und in dem kleinen Laden, wo ich war, wo die Platten dann richtig nach Marihuana gerochen haben, obwohl ich selbst nichts geraucht habe, das war alles sehr urig. Und dann hatte ich auch das Gefühl, das ist eine Musik, die man gar nicht erklären kann. Das fand ich sehr interessant, dass sie einfach so funktioniert, wenn man sie fühlt, und die unheimlich viel offen lässt. Also so Leute wie Lee Scratch Perry, die haben Dub genommen und etwas ganz anderes daraus gemacht. Und es schien mir so eine gute Basis, um seine eigene Musik zu kreieren, die sich von einem löst eigentlich.

Hast du denn als Kind mit Kassettenrekordern gespielt und kleine Hörspiele aufgenommen und so was?

Genau. Kurzwellenempfänger, zwei Kassettenrekorder und dann im Pingpong-Verfahren Overdubs zu machen und Geschichten zu erzählen.

Hast du denn auch mal ein richtiges Instrument gelernt?

Dazwischen habe ich versucht, Instrumente zu lernen. Dann bin ich aber immer an der Elektronik hängen geblieben. Ich wollte dann z. B. Begleitpatterns programmieren, um Bass zu lernen, und irgendwann stand der Bass in der Ecke und ich habe nur noch programmiert. Und dann dachte ich, ich sollte mich darauf vielleicht einfach konzentrieren. Dann habe ich den Bass verkauft und mir meinen ersten Sampler dafür gekauft.

Wann war das ungefähr?

Ich habe ein ganz schlechtes Zeitgefühl. Neunzigerjahre, schätze ich mal. Es war ’97, ’98.

Wann kamen denn Sampler auf den Markt?

Also mein erster Sampler, ich hatte vorher schon welche, aber um live zu arbeiten, das war der große Sprung.

Was war das für ein Fabrikat?

Ein Yamaha. Vorher hatte ich halt diesen Hohner, der baugleich war mit dem Casio, FZ-1 heißt der glaube ich, und habe damit meine erste Platte produziert.

Wann war das?

1996.

Da war schon klar, dass das jetzt eine Lebensaufgabe ist, die Musik?

Das kam alles mit dieser ersten CD, dieser Hikuioto, die ich eigentlich mehr als so ein Dankeschön produziert hatte für die Leute, die ich dort verarbeitet habe oder deren Stimmen ich dort verarbeitet hatte. Und ich hatte nicht vor, das professionell zu machen. Aber weil es genau so teuer war, eine CD zu machen wie eine CD-ROM, also eine CD-R oder ein Tape, wurden es dann 500 und die haben sich so explosionsartig in die Welt verteilt dank A-Musik, dass da plötzlich mehr draus wurde. Das ging ja alles sehr schnell.

Das war doch eine dynamische Zeit damals?

Ja.

Was hat Hikuioto mit der TAU-Reihe zu tun?

Das war die erste davon. Das ist eine Veröffentlichungsreihe, wo, als ich die 1/TAU gemacht habe, nicht im Kopf hatte, eine 2/TAU, 3/TAU zu machen, sondern das ist mehr so ein Spiel, nicht so ernsthaft gemeint. Aber jetzt, wo sie größer veröffentlicht wird, ist es plötzlich ein Thema für den Verlag und für den Laden, wo sie stehen.

Kannst du erzählen, was das genau bedeutet?

Das war, als ich die erste Veröffentlichtung gemacht habe, so ein Gedankenspiel, wie kann man einen Namen finden, der was Technisches hat, aber auch was Poetisches, aber völlig frei ist von einer Bedeutung, weil man die nicht sofort finden kann. Oder man kann es völlig verschieden interpretieren. Das kann der Tau sein, und 1/TAU könnte die Bezeichnung von einem Gerät sein, und darum haben wir auch so Geräteaufkleber genommen, also es könnte eine technische Bezeichnung sein “Eins – Schrägstrich – T – A – U”. Und eigentlich war es dieses poetische Bild vom Morgentau, weil das so ein Wort ist, das man im alltäglichen Gebrauch nicht so benutzt. Das ist dann eher das Kondenswasser, aber das ist nicht das Tauwasser, was in meinem Bad ist.

Wie bist du denn damals vorgegangen? Was war denn das Material?

Material waren Interviews, die ich gemacht habe, eine ähnliche Situation wie jetzt, dass ich jemand eher flüchtig kannte, und dann sie gebeten habe, mir etwas zu erzählen oder ein Gedicht vorzutragen. Und ich mag sehr gerne, dass man über so einen Anlass jemandem sehr nahe kommt. Und dann gibt es im besten Falle ein Vertrauen, und wenn ich danach mit dem Material arbeite, dann versuche ich dem gerecht zu werden, dem Vertrauen. Und habe dann auch immer noch die Situation und die Atmosphäre so im Hinterkopf.

Ich habe das Gefühl, dass bei vielen deiner Stücke das Gegenüber sehr wichtig ist.

Also auf jeden Fall einen Kontrast zu meinen Klängen oder zu mir, zu meiner Person als Künstler finde ich sehr interessant. Ein Kontrast oder ein anderer Charakter, an dem ich mich reiben kann, der für sich steht, der aber auch zulässt, dass ich das so übernehme oder vereinnahme.

Vereinnahmen?

Ja klar, wenn man jetzt mit einer Instrumentalaufnahme arbeite, dann ich doch klar, dass man das Material völlig auseinander nimmt und danach wieder zusammen setzt. Und das ist so ein Spiel mit diesem Auseinandernehmen und Vereinnehmen.

Da ist eine Situation, in der du etwas mit jemandem machst, aber dann auch die Situation, in der du alleine bist.

Ja.

Das sind zwei verschiedene Arbeitsphasen.

Ja.

Beide sind wichtig.

Beide sind wichtig. Ich bin da immer in einem Zwiespalt. Das alleine Arbeiten erlaubt einem unglaublich viele Möglichkeiten, dass man ausprobieren kann und es bleibt geheim und privat. Und ein Konzert ist dann immer wie eine öffentliche Probe für mich, weil es ja dort passiert und entsteht, und zwischen diesen zwei Polen wandere ich dann immer hin und her und denke oft vor dem Konzert, ich mache nie wieder ein Konzert, und nach dem Konzert, hoffentlich kann ich bald wieder ein Konzert machen. Und dieses alleine Arbeiten ist für mich dieses Labor, in dem ich experimentiere.

Wie ist es denn bei den Arbeiten mit Dafeldecker und Demand gelaufen? Wie hat da die Zusammenarbeit funktioniert?

Also die Zeit mit Dafeldecker, das war halt eine ganz schöne Zeit. Da war ich noch sehr mit dem Erlernen von Max/MSP beschäftigt, um mir mein eigenes Liveinstrument zu bauen. Es ging mir seit Podewil-Zeiten noch um das Thema, wie kann ich, was ich sonst allein im Studio mache, übersetzen in eine Live-Situation. Und da habe ich Werner Dafeldecker in Wien kennen gelernt, und der hat mich in die Improvisationsszene reingeholt. Die war mir vorher nicht so bekannt, und da öffnete sich dann noch mal eine ganz andere Welt. Ich war überrascht, mit welcher Geschwindigkeit wir diese Veröffentlichung produziert haben, weil wenn ich alleine arbeite, dann brauche ich schon mal ein paar Jahre, und da ging alles ziemlich schnell.

Werner hat Kontrabass gespielt?

Alle möglichen Instrumente. Das war für ihn in der Zeit, glaube ich, auch neu. Er war vorher immer eher bekannt für Kontrabass. Und dann hat er immer mehr auch so andere Instrumente gespielt und entdeckt und ich finde, das hat auch ganz gut funktioniert.

Werner hat die Klänge eingespielt und du hast sie verarbeitet?

Wir haben uns ein kleines Studio gemietet und Einspielungen gemacht. Und ich habe teilweise dann das Material noch sehr stark nachbearbeitet.

Das war in Wien oder in Berlin?

In Wien.

Du hast gerade das Podewil erwähnt. Das war ein wichtiger Ort für dich?

Total.

Warum?

Also es ging, wie gesagt, alles sehr schnell mit dieser Hikuioto-Veröffentlichung, und da hat dann Elke Moltrecht im Podewil mir ein Forum geboten und gesagt, so, du bist jetzt Artist-in-Residence, jetzt mach mal hier. Und zu der Zeit war auch Reinhold Friedl sehr aktiv. Und ich konnte halt plötzlich mit vielen Künstlern zusammenarbeiten und fast regelmäßig Konzerte geben, und es war eine unheimliche aktive, lebendige Zeit.

Wann war das?

Ich erinnere mich gar nicht mehr, weil nach der Artist-in-Residence-Zeit ging es eigentlich noch weiter. Es entwickelten sich unglaublich viele Beziehungen und neue Duos und so. (lacht)

2001 hast du mit Max/MSP angefangen. Wie hat sich die Technik für dich entwickelt. Gibt es einen Punkt, wo du sagen kannst: das war der entscheidende Punkt, da bin ich damals angekommen und das ist bis heute so.

Also am Anfang habe ich wirklich noch große, schwere Geräte mitgeschleppt. Ich bin teilweise auch mit einem Mac-Classic aufgetreten, der dann da vor sich hinsurrte, und das hat sich eigentlich bis heute durchgezogen, dass ich für jedes Konzert was Neues versuche. Ich schaffe es nicht, immer mit dem gleichen aufzutreten. Es sei denn, ich mache eine Tour, dann ist es was anderes. Finde ich auch wunderbar, dann kann man so etwas entwickeln. Dann hat man so einen Anfangsstatus und fängt an das auszuarbeiten und zu erweitern. Und am Anfang hatte ich dann, ich kann mich schon gar nicht mehr erinnern, hatte ich meinen ersten Livesampler von Yamaha, und damit konnte ich halt live samplen, aber nicht gleichzeitig abspielen. Und das gab dann immer Unterbrechungen und das wurde dann so zum Stilmittel. Und nebenher habe ich noch so mit Soundmodulen gearbeitet, auch von Yamaha, FM-Synthese, und habe die dann angetriggert und übersteuert mit zu viel MIDI-Informationen und das auch live gesampelt und dann gefiltert. Und ich hatte auch diverse Objekte. Ich hatte Metallplatten, mit denen bin ich sogar nach Hongkong gefahren, und Federn. So was würde ich heute wahrscheinlich gar nicht mehr machen.

Es war doch sehr Hardware-orientiert damals.

Total. Und das erste Laptop kam dann ziemlich spät und es hat auch sehr lange gebraucht, bis ich so das Gefühl hatte, so, jetzt habe ich das Instrument, mit dem ich wirklich arbeiten kann.

Und heute ist das aber so?

Ich bin jetzt auch immer noch wieder am neu Experimentieren. Die Situation, dass ich mit einem fertigen Instrument komme, ist selten.

Aber das Instrument wird am Computer gebaut?

Ja. Diverse Controller benutze ich und schreibe mir so meine Sache.

Und Max/MSP ist geblieben?

Ja.

Wir wollte noch über Sascha Demand sprechen. Die Platte oder das Projekt heißt 9khz. Warum?

Das war die Samplefrequenz von diesem ersten Sampler, mit dem ich am längsten Sampeln konnte, und das klang dann dementsprechend alles so rau, digital. Es wurde zu einer Ästhetik, die mich auch sehr interessiert hat.

Vergleichbar mit der 8bit-Ästhetik?

Ja, aber dezent anders. (lacht)

Es ging nicht darum, dass es möglichst schlecht klang.

Ich habe einfach für mich entdeckt, dass wenn man Klänge nimmt, die eine sehr starke Bedeutung haben, z. B. Wasserklänge, die sind unglaublich belegt. Und wenn Wasserklänge, Wasserloops etwas digitales bekommen, verlieren sie diese Bedeutung, das Klischee. Und sie werden etwas anderes. Und das war ein ganz gutes Mittel dafür.

Das heißt ihr habt mit 9 Kilohertz gesampelt?

Ja, auch.

Was habt ihr gesampelt?

Bei dieser Produktion? Also das ist ein ganz altes Duo, das ist einer meiner ältesten Duopartner, Sascha Demand, und ich schätze es unheimlich mit ihm zusammen zu arbeiten. Es ist ein unglaublich eigenständiger musikalischer Charakter, der so für sich steht, und das haben wir auch so ein bisschen zum Thema auf dieser Veröffentlichung gemacht auf En/Of. Das so zwei Sachen so völlig separat nebeneinander stehen, gleichberechtigt. Also linker Kanal war ich, glaube ich, und rechter Kanal ist er. Und der Zuhörer kann entweder selbst entscheiden, was er hören möchte, oder halt im Raum, auf Kopfhörern klingt das nicht so gut, sondern kann sich im Raum das mischen lassen.

Das ist nicht das Vereinnehmen, sondern das Nebeneinanderstehenlassen.

Ja.

Sascha Demand hat auf seinen Instrumenten gespielt?

Ja.

Und du hast du was gemacht? Habt ihr euch abgesprochen?

Also es hat nicht gleichzeitig stattgefunden, sondern wir haben uns in einer Fabriketage in Hamburg eingeschlossen und ich habe dort gewohnt. Und das war ganz seltsam. Das war so ein bisschen geheim, dass ich da wohnen durfte. Ich hatte dann ein Klappbett und einen kleinen Kocher, und draußen hat es geregnet, und ich war da eine Woche lang in dieser Etage und er kam ab und zu vorbei mit seiner Gitarre und wir haben zusammen gespielt. Und die Ergebnisse waren aber ziemlich langweilig. Und am letzten Tag hat er mich abgeholt und wir haben alles eingepackt und wir sind zu ihm nach hause gefahren, und auf diesem Weg sind wir auf die Idee gekommen, dass er mir einfach Material von sich gibt, und dass das gar keine gespielten Sachen sind, sondern mehr so Materialproben und dass ich mit diesem Material arbeite. Und das war wunderbar, weil das völlig frei von diesem Gestus war. Es war nur das Material, und man guckt, wie lange das trägt, und dann kommt das nächste Material und das ist so eine Arbeitsweise, wie ich sie bis heute interessant finde eigentlich.

Worum geht es da?

Man hält so eine gewisse Distanz, und kann analytischer arbeiten eigentlich.

Die Woche in der Fabriketage war für’n Arsch.

Nein. Das ist genau so wie ich oft arbeite. Dass ich sehr lange mich mit Material beschäftige, um am Ende ganz schnell und direkt zu einem Ergebnis zu kommen. Und das davor ist die Lernphase.

Inkubationsphase.

Genau.

Die scheint bei dir sehr lang zu sein.

Weil es mir nicht um das Ergebnis geht. Ich finde das ja fast interessanter, diese Testzeit.

Aber das Ergebnis wird der Öffentlichkeit vorgestellt. Der Prozess selbst verschwindet dann.

Also eine Kombination aus beidem wäre natürlich interessant, aber mittlerweile bin ich so realistisch, dass ich sehe, die Leute sind alle so mit ihrem Leben beschäftigt, und es ist eigentlich schon ein Luxus, wenn man ein Publikum hat, das wirklich zuhört, sich Zeit nimmt. So bin ich ein wenig realistischer geworden. Sonst hätte ich gesagt, kommt zweimal, hört es euch dann noch mal an und dann. Diese Zeit hat kaum noch jemand.

Ich könnte ja eine Stunde neben dir sitzen am Computer und dir zuschauen.

Ich würde es dann eher so sehen, dass man das Publikum zum Teil des Ganzen macht. Weil ohne das Publikum würde es nicht so entstehen. Eher so herum.

Aber die Darbietungssituation ist bei dir intakt.

Intakt? Im Gegensatz zu was?

Es ist nicht interaktiv, sondern es gibt eine Bühne und ein Publikum. Man hört zu und vorne passiert was.

Ja, obwohl es mich interessiert so klassische Strukturen aufzulösen. Ich stoße oft an Grenzen aber auch. Mich interessiert, dass das nicht mehr so eine klassische Vorführung ist.

Was hast du da unternommen?

Also dieses letzte Konzert im Haus der Kulturen mit Felix Kubin, das war so dicht an der Grenze, dass es schon mehr eine Installation war, die bespielt wurde, und ich glaube, das hat auch große Fragezeichen hinterlassen.

Das Installative ist eine gute Strategie gegen die klassische Konzertsituation.

Also ich sehe mich nicht als Entertainer. Das bin ich absolut nicht.

Kommen wir mal zur nächsten Platte. [Somethingmovinginsideplasticbox]. Was ist das?

Das ist eine Platte, wo ich Leute interviewt habe und sie gebeten habe, mir ein Objekt vorzustellen, was ein Geräusch erzeugt. Und dieses Geräusch sollte möglichst einen persönlichen Bezug haben für sie, und während sie das beschreiben, das Objekt, haben sie das auch gespielt wie ein Instrument.

Kannst du ein Beispiel nennen?

Eine Frau hat über ihren Magen gesprochen, in dem kleine Männer Kugeln hin und her stoßen. Das Geräusch kam dann nicht, aber wir haben uns so mehrere Tage gesehen, aber das Geräusch kam einfach nicht. Eine Frau hat ihre Stimme als Objekt beschrieben. Oder ein russischer Künstler hat ein Potentiometer als ein mehr philosophisches Objekt beschrieben und während er das gespielt und auch beschrieben hat, sind wir einen Glockenturm hinaufgestiegen. So eine Holzleiter, staubig, heiß.

Es hat was von einem rasenden Reporter. Es ist kein Fieldrecording, sondern ein gewisser Reportagecharakter bleibt.

Also ich mag das gerne, wenn im Hintergrund etwas passiert, und zum Beispiel mein Interviewpartner meine Stimme hebt, weil er halt laut genug sprechen möchte. Plötzlich hat das was Musikalisches. Oder wenn etwas im Hintergrund zu hören ist, was scheinbar dazu gehört, weil es gerade passt. Und solche Situationen reizen mich sehr.

Wie ein Gespräch in einem solchen Café?

Genau. Aber das ist nicht zwingend. Ich könnte auch gut in einem ganz normalen Raum arbeiten. Aber ich würde wahrscheinlich nicht stundenlang damit Zeit verbringen, dass das beste Mikrofon in der besten Position hängt. Das ist eher nebensächlich für mich.

Du lässt den Dingen ihren Lauf.

Ja. Das mag ich sehr gerne. Es geht darum, etwas zu finde, was von sich aus schon eine reiche Struktur hat, die nicht nur aus Wiederholungen besteht oder nicht völlig berechenbar ist. Und das kann ein instrumentaler Klang sein, das kann aber auch so eine Gesprächssituation sein.

Spielt das Fehlerhafte eine Rolle, das Nichtperfekte.

Ja, weil für mich ist das das Charakterhafte. Es geht eigentlich immer um Charakter. Um Persönlichkeit. Und ein Klang hat für mich einen Charakter, wenn er einen Fehler hat. Also ein Apfel schmeckt auch am besten, wenn er einen kleinen Fehler hat.

Ein Wurm?

Vielleicht auch. Ich habe das Gefühl, die Form des Apfels entscheidet über den Geschmack.

Persönlichkeit, Charakter, das hat auch etwas mit Instrumentarium zu tun. Alle Beteiligten haben eine eigene Klangsprache. Und dann ist da noch deine Klangsprache.

Ja, das ist immer so eine Gratwanderung, dass ich den Gast so ein Forum bieten möchte, in den Mittelpunkt stelle und trotzdem in meine Welt hole. Und damit spiele.

Wie ist das vor sich gegangen? Du bist bei den Leuten zu Hause gewesen?

Instrumentarium ist im Overdub-Verfahren entstanden, dass ich Leuten was geschickt habe und sie haben dann etwas aufgenommen und zurück geschickt.

Was hast du denen geschickt?

Die davor. Die [Somethingmovinginsideplasticbox]. Die Idee war für mich, eine Instrumentalversion davon zu machen. Und ich habe gesagt, spielt dazu im Overdub-Verfahren, mit der Idee, dass die aufgenommenen gesprochenen Stimmen nachher wegfallen. Und ziemlich viele haben die gleichen Stücke sich ausgesucht, sodass es sehr zusammengeschrumpft ist auf ein paar Stücke davon.

Aber das waren nicht die, die auch schon an der [Somethingmovinginsideplasticbox] beteiligt waren?

Bis auf zwei waren das völlig andere Leute. Also Ed Osborn habe ich interviewt auch und der hat auch etwas mit Gitarre dazu gespielt.

Zu seinem eigenen Stück?

Ich glaube ja.

Man liest diese Liste von Namen und denkt sich, wow, die freie Improvisation ist weit gekommen. Es wirkt fast wie eine Institution, die hier abgebildet wird. Das siehst du aber nicht so? Es wirkt so amtlich. Eine Liste mit vielen berühmten Namen.

Ja, für mich ist es so, dass ich gar nicht richtig in irgendeiner Szene aktiv bin. Ich kenne auch nicht viele Namen. Also wenn man mich jetzt mit einem Musikkenner zusammen setzt, ich kann da keine Namen droppen. (lacht) Und mir ging es eigentlich mehr darum, möglichst verschiedene, interessante Charaktere zu versammeln und etwas zu machen, ohne dass wir vielleicht je miteinander gearbeitet haben.

Es ging nicht um ein Panorama der freien Improvisation.

Nein, gar nicht. Ich habe eigentlich nach Leuten gesucht, die einen Zugang zu meiner Arbeitsweise haben, ihre ganz eigene Sprache entwickelt haben und die vielleicht aus ganz anderen Musikrichtungen kommen. Diese Mischung fand ich interessant.

Es haben ja auch viele Leute mitgemacht.

Ja, das hat mich sehr überrascht und gefreut. Ich hatte da aber auch sehr nette Freunde, die mir geholfen haben und mich vermittelt haben. Ohne die hätte ich das nicht geschafft.

Kanntest du alle von denen persönlich?

Nein. Das war für mich auch total neu, die Art, und war auch besonders interessant.

Du bekommst dann die Aufnahme zurückgeschickt und dann fängst du schon gleich an darüber nachzudenken, was du mit dieser Aufnahme anstellst?

Also ich habe mir die Sachen angehört. Einige hatten das Konzept ignoriert, die hatten dann alles auf eine Spur aufgenommen oder dazu gesungen oder eine ganze Band aufgenommen. Und dann war für mich klar in den Moment, das Konzept, dass ich eigentlich hatte, das muss ich so ein bisschen vergessen, aber das ist der Weg dorthin gewesen. Und dann fange ich an, mit dem Material zu arbeiten. Und es gibt Sachen, wo ich gar nicht viel machen muss, da habe ich das Gefühl, die sind eigentlich schon fertig. Zum Beispiel das David-Grubbs-Stück, da hatte ich das Gefühl, es war in sich schon so geschlossen, der hat sozusagen alles abgedeckt mit seinem Instrument, mit seinem Spiel, das meins gar nicht mehr nötig war. Wie so ein Stempel. Und das habe ich einfach weggenommen.

Du hast noch gefiltert, geschnitten?

Bei ihm habe ich gar nichts gemacht. Ich habe nur ein Fieldrecording von mir dazu gegeben, weil ich das Gefühl hatte, das hat was Filmisches. Ich setze ihn so in eine Landschaft rein. Und mehr hat da für mich nicht gefehlt. Bei diesem Stück gibt es noch eine Wand, die aus seinen Klängen entsteht. Also alles was er spielt, wandert in eine Klangwand und die wird immer dichter und dicker und die steht da einfach so hinten. Aber sonst passiert da nichts. Und dann gibt es da Material, mit dem ich lange arbeite. Wo ich gucke: Was kann ich damit machen? Was verträgt es? Und damit kann ich mich ewig lang beschäftigen, wenn da nicht der Druck da wäre, irgendwann auch mal etwas fertig zu bekommen. Darum ich bin ich immer sehr dankbar, wenn jemand sagt, mach mal, bis dann und dann hast du Zeit, hier gibt es was, ich brauche eigentlich solche Anstöße. Sonst gäbe ich glaube ich keine Veröffentlichung von mir.

Das kenne ich glaube ich auch.

Das heißt nicht, dass ich da nichts dran mache, aber es bekommt keine abgeschlossene Form. Und dieses, einer Sache eine abgeschlossene Form zu geben, finde ich eines der Schwersten, weil ich habe immer das Gefühl, dass ist alles so im Fluss und im nächsten Tag finde ich das schon wieder anders, sodass ich es anmaßend finde, zu sagen, so, das ist jetzt die perfekte Form und so bist du jetzt für immer und jetzt geh’ raus in die Welt. Aber wenn ich es dann geschafft habe, diese Entscheidung zu fällen, ist es dann auch befreiend, weil ich dann mir dann keine Gedanken mehr drüber machen muss.

Um noch einmal auf den Arbeitsprozess zu kommen. Du hörst und hast dann verschiedene Optionen. Bei David Grubbs eine sehr zurückhaltende Strategie. Aber du greifst auch stärker ein in das Material?

Ja.

Hast du ein Beispiel?

Ja, besonders schwierig wird es für mich in dem Augenblick, wo jemand auch mit Elektronik arbeitet. Und es waren fast alles akustische Instrumente oder halbakustische Instrumente, bis auf Christophe Charles, der fast alle meine Stücke genommen hat und sie durch die Elektronik gedreht hat und vier Vocoder und alle Stimmen auch verwendet hat, wo für mich auch klar war, also einmal war das Konzept für mich damit unmöglich und er hat es sozusagen auf die Spitze getrieben, und in dem Moment, wo jemand auch schon mit Elektronik gearbeitet hat, fällt es mir schwer, da noch einen Zugang zu kriegen. Also ich habe z. B. mal einen Mix gemacht für Microstoria, und da habe ich auch lange gebraucht, bis ich einen Weg hatte, wie kann ich mit elektronischem Material arbeiten, sodass es dann zugänglich ist. Und dann habe ich z. B. bei Microstoria die Schallplatte verkratzt. Und dann war plötzlich die Schallplatte das Instrument. Und dann ging das. Und bei Christophe Charles habe ich mich dann zurückgezogen aus der Rolle, ich sehe mich da nicht so, dass ich das Material bearbeite und in eine völlig andere Sphäre bringe, sondern mehr so im Sinne eines klassischen Produzenten. Das finde ich auch schön. Also im Jazz oder die Produzenten von den Beatles, die einfach so es geschafft haben, so ein Siegel zu haben, eine Handschrift. So dass man hört, ah ja, das sind die Beatles, aber das ist auch der Produzent. Und so was finde ich sehr, sehr schön.

Und was hast du dann bei Christophe Charles gemacht?

Da habe ich mich mehr wie ein Produzent gesehen.

Das heißt es war eher eine Art Mastering-Vorgang?

Nein, Mastern ist wieder was anderes. Da geht es ja mehr darum, das zur Geltung zu bringen. Einen bestimmten Sound zu geben. Ich denke ja, jede Zeit hat ihren Sound, der so überall da ist und ein bisschen dafür steht. Und den Sound, den ich kreiere, das ist nicht der Sound unserer Zeit, aber für mich sehr interessant. Und Fred Frith z. B. hat auch das Konzept ignoriert. Ich glaube, er hat das gar nicht so verstanden gehabt. Er hat einfach direkt alles auf eine Spur aufgenommen. Sein Material und mein Material. Und was er gespielt hat auf der Gitarre ist 100 Prozent sein Stil und den kennt jeder. Und da habe ich sehr lange gebraucht, bis ich einen Weg gefunden habe. Das war eine lange Research-Zeit.

Du stülpst aber nicht um jeden Preis ein bestimmtes Raster auf eine fremde Aufnahme? Sondern das Hören steht im Mittelpunkt?

Das hängt immer ganz davon ab. Also wenn ich z. B. eine Installation mache, finde ich es sehr interessant, ein Software-Instrument zu bauen, was fast wie eine Partitur funktioniert und nach bestimmten Gesetzmäßigkeiten funktioniert und ich kann dann bestimmtes Material reingeben und bekomme jedes Mal ein völlig anderes Ergebnis. Das ist wie so eine Hit-Maschine, wo ich irgendwas reingebe und dann kommt immer was Neues raus, was aber irgendwie interessant ist oder funktioniert, weil diese Parameter da eingebaut sind. Wenn ich aber etwas produziere, ist das Konzept eher der Weg, dort hinzukommen, und dann ab einem bestimmten Punkt nehme ich mir alle Freiheiten. Dann kann ich einfach damit arbeiten.

Es gibt einen Ausgangspunkt und es geht dann aber je eigene Wege.

Ja, aber dann gibt es manchmal Arbeiten, wo ich länger am Konzept festhalte. Also bei der Arbeit mit Sascha Demand blieben die getrennten Spuren, das zieht sich durch die ganze Platte und das funktioniert auch. Oder auf der ersten, Hikuioto, gibt es langes Stück mit so zerlegter Sprache, wo der Sampler durch dieses Sample durchwander, das so abscannt. Und das habe ich auch ziemlich so durchgezogen ohne Brüche.

Du hast lange einen Doppelnamen geführt. Das hatte einen privaten Grund?

Ja, ich habe geheiratet und habe den Namen angenommen, weil ich dachte, ich kann der japanisches Familie meiner Frau nichts Großes bieten. Das einzige, was ich bieten kann, ist, dass ich ihren Namen annehme und in die Welt trage mit meiner Arbeit. Und das habe ich dann irgendwann wieder geändert, weil ich gemerkt habe, das hat zu viel Verwirrung hervorgerufen. Also schon mit meinem Namen Hegenbart, der wird oft mit “th” geschrieben. Und dann war ich ständig damit beschäftigt, irgendjemandem zu schreiben kurz vor dem Festival, bitte könntet ihr noch den Namen ändern. Und da war es schon zu spät und schon im Programm.

Hast du denn auch ein ästhetisches Verhältnis zu Japan? Also das Lob des Schattens, das Nô-Theater oder Gagaku-Musik oder Otomo Yoshihide.

Also es ist eigentlich ähnlich wie mit den Tonbandmaschinen, dass das immer um mich herum war und ist, dass das dazu gehört zu meinem Leben, aber das ich nicht sagen würde, ich bin ein Kenner oder ein Experte. In keiner Weise. Aber natürlich, es gibt vieles, was mir so entspricht, wo ich mich sehr wohl fühle. Also wenn ich in Japan bin, komme ich mir nicht sehr fremd vor. Ich komme mir in Amerika fremder vor.

Du hattest auch als Jugendlicher schon Kontakt zu Japan?

Also als Jugendlicher war es mehr so die Kultur, die so rüberschwappte. Und das war einfach so um mich herum.

Im Sinne des Zeitgeists? Godzilla oder Zenbuddhismus.

Da habe ich immer wieder Leute getroffen, die so 100-prozentige Japan-Fans waren. Das ist nicht so mein Ding. So geht es mir eigentlich oft, dass ich irgendetwas interessant finde, wie mit dem Dub, aber dass es dann ganz viel gibt, was dazu gehört, womit ich mich gar nicht mit identifizieren. Das hat dann nichts mit mir zu tun.

Man ist eben nicht Lee Scratch Perry.

Ja, aber es gibt Leute, die entdecken etwas und gehen darin völlig auf. Und das ist mir noch nie passiert. Es ist immer so, dass ich ein Teil mir da rausnehme, der mich interessiert, und der Rest nicht.

Es wirkt analytisch-distanziert, aber nicht leidenschaftslos. Aber du stürzt dich nicht auf Material, sondern du beobachtest erst einmal.

Das ist sehr, sehr gut beobachtet. (lacht) Also ich habe auf jeden Fall eher eine beobachtende Rolle. Also bei Liveimprovisationen auf der Bühne mit vielen Musikern kann es passieren, dass ich fast gar nichts mache, weil ständig jemand was macht, und dass ich mehr so zuhöre.

Nachdenken?

Nein, sondern überlege, was passt denn jetzt hier. Und kurz vor dem Ende hören die so langsam auf und dann fange ich an und dann ist Schluss. Das ist mir schon sehr oft passiert.